Hooks Ghost 11
Weltbeste Bildung? Rettet die Kinder!
Wie geht weltbeste Bildung?, fragt DIE ZEIT am 4. Januar 2018 und erhält, wie auch zu den
Fragen, wo Schwerpunktschulen zum inklusiven Lernen entstehen und wieviele es sein sollen,
wieviel Geld bereitgestellt wird, von politisch Verantwortlichen in NRW, keine Antwort.
Ein Fesselballon von Pseudophrasen wird notiert: Es besteht Handlungsbedarf, es müssen
Lösungen gesucht werden, wir werden schauen, ein Masterplan Grundschule ist in Vorbereitung.
Der Frankfurter Allgemeinen vom 15. Januar 2018 ist zu entnehmen, dass jeder fünfte Ausbildungsvertrag
schnell (!) wieder aufgelöst wird, weil elementare Fähigkeiten fehlen. Es mangele an der Bereitschaft,
überhaupt etwas zu lernen. In Lesen, Schreiben, Rechnen werden nicht einmal Mindeststandards erreicht.
Firmen nennen das: »Sinkendes Bewerberpotential«. Viertklässler in NRW liegen deutlich unter dem
Bundesdurchschnitt in Lesen und Schreiben.
Der Deutschlandfunk berichtet am 13. Oktober 2017 von einer Studie Grundschule, aus der hervorgeht,
dass das Niveau in Deutsch und Mathematik zwischen 2011 und 2017 gesunken ist.
Im Zuge der Hilferufe verschiedener Schulen werden sechs saarländischen Schulen nun Berater zur Seite
gestellt, die Kollegien unterstützen, »professioneller« zu arbeiten, so ein Bericht
in der Saarbrücker Zeitung.
Als Kondensat tröpfelt aus allen aktuellen Verlautbarungen und Mitteilungen, Rat- und
Konzeptionslosigkeit, punktuelle Brandbekämpfung, Verlegenheit und Augenwischerei.
Der Erziehungswissenschaftler Jörg Ramseger von der FU Berlin hat 2013 in einem Thesenpapier für
die deutsche Kinder- und Jugenstiftung geschrieben, dass alle Bildungsprozesse in der frühen Kindheit wurzeln.
Ein schlüssiges Förderkonzept für die null bis sechs jährigen fehlt bis heute.
Heinz Bude, Soziologe an der Universität Hamburg und Gesamthochschule Kassel, fordert eine
pädagogische Diskussion für die Grundschule, in der für ein Leben in einer komplexen Gesellschaft
gelernt wird, in der unterschiedliche Wahrnehmungen existieren, unterschiedliche Ansprüche eine Rolle
spielen und in dieser Vielfalt Kinder und Jugendliche eigene Wege zu einer Kultur des Respekts finden sollten.
Wer sich die berechtigte und berechnende Aussage zueigen macht, dass Bildung das wichtigste wirtschaftliche
und sozialpolitische Steuerungsinstrument ist, der sollte fundierte Antworten formulieren, was unter Bildung
zu denken ist, wann und womit und wie sie beginnt und wie sie zur Glückseligkeit des Kindes auf den Weg
gebracht wird. Junge Kinder lernen ab dem ersten Lebenstag, Beeinflussungen auf das Gehör finden schon
vor der Geburt statt. Dies bestätigen seit Jahren Forschungen zur pränatalen Sprachentwicklung.
Die Wahrnehmungsantennen Neugeborener für Geräusche, Stimmen, Gerüche, Schmecken, Sehen und
Fühlen sind durchgehend auf Empfang; ebenfalls die Gefühle, die sich aus den wirklichen und
spürbaren Wahrnehmungen ergeben. Die Gedanken, die die Erfahrungen verknüpfen, sind Grundlagen,
aus denen sich Geschrei, Gegurgel, Gebrabbel, Gebabbel, Laute, und mit den Reaktionen anderer Sprecher
Worte entwickeln. Sprache ist ein vielfach umwickelter sozialer Faktor, in dem Mimik, Gestik und Stimmfärbungen
entscheidende Signale senden, wie das Gesagte zu verstehen ist. Dies haben Forscherinnen der Kindersprache
wie Els Oksaar, Gisela Szagun, Hannelore Grimm, Rosemarie Tracy u.a. in ihren Veröffentlichungen zum
frühen Spracherwerb ausführlich dargelegt.
Die Max Planck Forscherin Donata Elschenbroich hat in »Weltwissen der Siebenjährigen«
nachdrücklich darauf hingewiesen, dass für junge Kinder das Erfassen der wirklichen Wirklichkeit
mit allen Sinnen Grundlage jeglicher Bildung ist.
Wird politisch Verantwortlichen auf den Mund geschaut, werden jedoch die Worte Bildung und Digitalisierung
im gleichen Atemzug genannt, und es breitet sich die Auffassung aus, dass Digitalisierung sowas wie Bildung
mühelos übernehmen kann. Ausgestattet und versorgt mit Smartphones, Tablets und anderen elektronischen
Übermittlern wird Bildung ohne menschliche Interventionen mit einem Fingertupf erledigt. Die technologischen
Neuerungen werden unter Betonung ihres Nutzens für humanitäre Belange so präsentiert, dass sie uns blind
machen für Nebenwirkungen.
Aus den Printmedien der letzten Monate müssten Überschriften und Textpassagen aufmerken lassen:
➸ Ein Fünftel aller deutschen Kitas sind mit sogenannten Lerntablets verseucht.
➸ Außer Kontrolle.
➸ Hinter der Hilfsbereitschaft der Apparate verstecken sich kommerzielle Interessen.
➸ Blick ins Digital.
➸ Machen Smartphones dumm und dick? Kinder hängen am Handy. Eltern stehen ratlos daneben.
➸ Hoher Medienkonsum schadet kindlicher Entwicklung.
➸ Es wächst die Zahl der Studien, welche die negativen Begleiterscheinung der Digitalisierung
gerade für Kinder und Jugendliche dokumentieren.
➸ Unsinn verhindern. Digitalisierung allein wird die Schulpolitik nicht retten.
➸ Alle diese undurchschaubaren Apparate.
➸ Im Abseits. Bildungsverlierer in Berlin.
➸ Ärzte kritisieren Medienkonsum im Kleinkindalter.
➸ Einem winzigen Artikel vom 26. Februar 2018 auf der Frontseite der Saarbrücker Zeitung ist zu entnehmen,
dass Experten für eine technologische Geräteausstattung in Kindergärten plädieren. Als Expertin wird die
stellvertretende Direktorin des Staatsintituts für Frühpädagogik, München, genannt. Der Sitz von Google, Deutschland,
ist in München. Man fragt sich, was der Gründer des Instituts, Prof. Dr. Dr. Dr. Wassilios Fhtenakis von solchen
Verlautbarungen, Einflussnahmen und Abhängigkeiten denkt.
Unter der Überschrift »Rettet die Kinder!« meldet die Frankfurter Allgemeine am 6. Februar 2018,
dass frühere Mitarbeiter von Facebook und Google ein »Center for Humane Technology« gegründet haben.
Sie appellieren an die Öffentlichkeit, nicht die Gesundheit der Kinder aufs Spiel zu setzen. Durch die smarten
Technologien werde die Gesellschaft in Geiselhaft genommen. Facebook und Google richteten ihre Aktivitäten
auf die Gehirne der Kinder aus. Sind Kinder erstmal bei Surprise Play Dob Eggs Peppa Pig Stamper... usw. gelandet,
werden sie von einem Clipchen in den nächsten weitergelotst. Die Infiltration ist in Gang gesetzt.
Erzieherinnen und Kindergärtnerinnen erleben die Auswirkungen bei den ihnen anvertrauten jungen Kindern.
Und für die Grundschule gibt Jürgen Kaube in der FAZ vom 17. November 2017 zu bedenken: »In einer Zeit
in der an Schülern erhebliche Defizite im Bereich der analogen Lernmethoden festgestellt werden, könnte allerdings
ausgerechnet die Digitalisierungs-Fanfare genau das falsche Signal sein. Wer sich von neuerster Technik erhofft, was eine – ja –
Rückbesinnung auf tradierte Verfahren des Erkenntnisgewinns (beispielsweise Lesen, Schreiben, Rechnen, Denken, Experimentieren,
Zeichnen) leisten könnte, nährt gerade zu die Skepsis gegen den Vorschlag, der neuesten Lernmitteltechnologie müssten
nun bundesweit alle Schulen folgen. Es kommt übrigens auch dem Progammieren zu Gute, wenn zuvor insistent bruchgerechnet wird.«
Vor allem die kreativen Fächer, die alles in Einklang bringen, werden von den meisten Eltern als unsinnvoll abgetan.
Könnte es sein, dass die Krakenarme der Digitalisierung bis in die frühe Kindheit die Sinneswelt der jungen Kindern
zersplittern und das Ersterben der Gefühlswelt beschleunigen, ähnlich der 80 % Schmetterlinge, die nicht mehr vorhanden sind?
Vielleicht können Hebammen und Ärzte angehende Mütter und Väter in die Verantwortung stellen, den Neugeborenen
für die ersten Jahre einen sinnenvollen Lebensbeginn zu gewährleisten.
© Prof. Dr. Heinz Günnewig
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