Prof. Dr. Heinz Günnewig

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Hooks Ghost 5

In einer Zeitungskolumne wird spitz gefragt, ob ein 22-­jähriger Ban­ker mit Gerade­aus­biografie ein Rentner­ehepaar beraten, ob eine 23-­jährige Unter­neh­mens­be­ra­te­rin einen Berufs­anfänger be­gut­achten oder ob eine junge Leh­rerin, die es im Studium mit Leh­renden zu tun hatte, die Ler­nen mit Kin­dern aus Lehrer­tech­nikenbüchern ver­mitteln, nun das hoch­sensible, be­ziehungsreiche Zu­sammen­spiel und das lernent­schei­dende, didaktisch-­methodische Hand­werks­zeug in­einander fügen kann?

Sogar Studienanfänger merken sehr schnell, wenn Lehrende aus einer Hülse sprechen, keine Se­kunde mit Kindern kon­fron­tiert waren, kein Buch ir­gend­welchen Kindern vor­gelesen hatten und nun über» die gegen­wärtige Si­tuation der Lese­kultur als Teil der Medienkultur» faseln und das gesamte Mer­cha­ndising-Ge­bimmel von Kaffeetasse, Mäppchen, Rucksack, Zahnbürste und Handtuch und Mütze und Schlüssel­anhänger und Ball und ..., die alle mit dem Ti­tel eines Buches be­stückt sind, dass all diese Geld­bringer zur LESE­MO­TI­VA­TION bei­tra­gen würden (so livehaftig auf einem Kongress zur Lesesozialisation gehört).

Auch wird von solchen Nicht-Praktikanten »offener Unter­richt« reklamiert, in dem Com­puter, Inter­active Books, Bücher auf CD Rom und – natürlich, natürlich – »Lektüredokumentationen« an­zulegen seien. Nur wie diese An­sprüche in der Mikro-Kommunikation des täg­lichen Lernens mit Kindern der heutigen Zeit zu realisieren seien – Schweigen.

Nochmal: Die Ausgeschlafenen und Wissbegierigen unter den Stu­dierenden erkennen, wenn vor ihnen Per­sonen stehen und von Abläufen und Beziehungen in der Schulwirklichkeit sprechen, in die sie selbst nie involviert war. Der Man­gel an Authen­ti­zität lässt die päda­gog­ische Vorfreude welken.

Aber es sind nicht nur die unbedarften Praxisvermeider, die die Aus­bildung versoften, es sind auch die, die von der For­scherplatt­form herunter schauen in die Wirklich­keit «da draußen im Lande«, die sich in einschlägigen Fach­zeit­schrif­ten unter gering­fügig geänderten überschriften ver­vielfachen und in inter­disziplinären Workshops Lorbeerkränze zuwerfen.

Im Zweijahresrhythmus können »neue« Forschungs­aufgaben be­wundert wer­den, die schon vor vier und sechs und acht Jahren angekündigt worden waren. Nur für die Gras­narbe der Unter­richts­wirk­lich­keit ist bisher nichts rum­ge­kommen. Das Elend der so­g­enannten Empiriker: Man glaubt die Fakten zu kennen, weiß aber noch lange nicht, was sie be­deuten.
Auch in diesem Jahr das gleiche Forschungs­design und im nächsten Jahr die gleichen Er­gebnisse und wieder haben´s die Leute in der Praxis immer noch nicht begriffen, dass so­viel zu ändern wäre. Also das Ganze wieder von vorne. Und so wird wieder die Phase in einem gleichlautenden Zeitungs­artikel wie vor zwei Jahren begonnen. Eine Farce. Zuviel dis­kur­sive Dis­kussionen ohne Ertrag für die Alltäglichkeit, mon­ierte vor wenigen Wochen Jean Claude Juncker in einer Tages­zeitung.

Im Personalbestand des Bildungsbe­reichs tummeln sich Spezia­listen, die seit Jah­ren keine Kontakte mit Kindern der heu­tigen Zeit hatten, die jedoch den täglich Prak­tizierenden Blatt für Blatt nahe­legen, was zu tun sei.

In der Folge von PISA haben sich darüber hinaus für techno­kratische Di­daktisierer ertrag­reiche Mög­lich­keiten ergeben. Mit verführerischen Arbeits­blät­tern, die in rapider Folge für die einzelnen Schul­jahre er­stellt wurden (ko­pierbar, blitz­schnell überprüfbar, banal, im ritualisierten Verfahren…), wird z.B. der Bildungsprozess des Lesens als empathische Identifikation unter­laufen, wird Lesen als Sinn­kon­struktion, als eine Art der Auseinander­setzung mit Wün­schen und Kon­flik­ten zer­bröselt und das Wechsel­spiel zwi­schen Textvverstehen und Selbst­reflexion erwürgt. Persönlichkeitsbildung? Was hat die denn hier zu suchen?

Das grobe Instrumentarium der Fragen und Auswahl­antworten sugge­riert »Richtig« oder »Falsch«, das Rätsel­hafte wird zu einer Ant­wort zusammen­ge­klumpt; der sokratische Dialog, den es zwi­schen Kin­dern als Selbst­ver­ständ­lich­keit des gemeinsamen Er­kenntnis­g­ewinns zu etab­lieren gilt, fällt den schnellen Reak­tio­nen zum Opfer. Tiefes Lesen braucht Zeit und viel­schichtige, bedeut­same Texte. Mit den nur einen Atem­zug dauernden,faden Text­kom­pe­tenz­erfassungs­textchen be­ginnt keine Lese­bio­grafie.

Die eiskalten PISA-Verwerter, die im zuge­fächelten Weih­rauch den Paktikern  »draußen im Lande« vor­geben, unter die Arme greifen zu wollen, sind in Wahr­heit ge­fährliche Entmündiger, Auf­be­reiter der Un­selbst­ständig­keit, die Faul­heit Vor­schub leisten, Ideen das Licht ausknipsen, Ge­spräche mit Kindern aus­trocknen und Lehr­personen auf engen Bah­nen am Nasenring zu sich her­ziehen.

Die Hattie-Studie legt allen am Bildungs­prozess mit Kindern Be­teiligten hohe Ver­antwortung und Ver­pflich­tung nahe, vor allem den Leh­renden in der Aus­bildung. Und wenn das Re­sümee aus allen Analysen lautet »Ver­feinerung von Bewährtem«, dann seien alle Forschenden erinnert an Ausführungen von Aebli, Roth, Klafki, Bruner, Oerter, Montada, Weinert, Rumpf und noch ein paar Vergessenen mehr; an Oksaar, Kainz, Neuland, Neisser, u.a.m., die Grund­le­gendes schon ge­dacht und ver­öffent­licht haben. Auf gründlich re­cher­chier­tem, tra­dier­tem Wissen gilt es in Forscher­bescheiden­heit auf­zu­bauen, das wirklich Neue in aller Kürze mit­zu­teilen,denn fünfundneunzig Pro­zent von dem, was man zu sagen hat, verdanken Au­toren der Er­fahrung anderer. Auf­ge­blähter Personal­ein­satz könnte ver­mieden, viel Geld gespart und manches Lego­steinchen für Kitas gekauft werden.

©  Prof. Dr. Heinz Günnewig


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