Hooks Ghost 4
Dreißig Studienanfänger für das Lehramt an Primärschulen grinsen sich faltig, als sie gebeten werden bei
Google »Robert» einzutippen – Buchstabe für Buchstabe –
und ihnen der Allwissensaufbereiter, angelangt bei »Rob«, Robert Pattinson und bei
»Robe« Robert Downey jr. ins Fenster rückt. Kein missbilligendes Wort gegen den vampirblässlichen
von feminimen Zweibeinern umschwärmten Blutabnehmer und ebenso nichts sagend zum nicht ganz durchtrainiert definierten Indizienverknüpfer.
Wird »Robert« nun ein »L« hinzugeclickt erscheint als erster im Namensquartett »Robert Lewandowski« , und immer noch nicht rückt Google Robert Louis Stevenson, den
schottischen Schriftsteller der Klassiker »Die Schatzinsel«, »Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mister Hyde«, und »Entführt« in die Aufmerksamkeit.
… innerhalb jeder Gesellschaftsschicht weiß der Einzelne, welches ungefähre Bildungsmaß er bei jedem anderen vorauszusetzen hat – und offenbar würden ohne solches Wissen die
hiermit berührten Wirkungen zwischen Mensch und Mensch überhaupt nicht stattfinden können … – so Georg Simmel in »Das Geheimnis der geheimen Gesellschaft«; aber diese
Erkenntnis ist auch schon über 100 Jahre alt.
Und nun sitze ich bei den dreißig der Pubertät schon einige Jahre Entwachsenen, versuche an ein Vorwissen anzuknüpfen und frage nach dem »ungefähren Bildungsmaß«
in Sachen Kinder- und Jugendliteratur:
Stevenson?
Nie gehört! Der mit der Glühbirne?
Nee, das war Edison.
Ach so.
Hat »Die Schatzinsel« geschrieben.
Ja? Ach jaah, das wurde jetzt mit Tobias Moretti verfilmt, der war der Pirat mit dem Holzbein.
Von Stevenson ist auch »Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mister Hyde«.
Echt?
War Stevenson verheiratet?
Schulterzucken.
Es genügt.
Von den Superklugen der Lesesozialisationsforschung ist aufzunehmen: Es wird ein soziales Dilemma geben, wenn mehr und mehr Kinder ohne literarische Anregungen aufwachsen.
Ihre Bildungschancen, ihre soziale Festigung, ihr Aufstieg stehen auf der Kippe.
Die Politikwissenschaftlerin Christiane Florin fragt sich, was ihre Studentinnen und Studenten an Politik eigentlich interessiere – außer dem Abnuckeln von drei Liter Wasserflaschen
während eines Seminars – und glaubt, es sei etwas Substanzielles, eine Veränderung des Wissenspegels eingetreten, die Kulturpessimisten mit Niveauabsenkung des Bildungsmaßes gleichsetzten.
Und bei mir sitzen Dreißig, die in absehbarer Zeit über Jahrzehnte künftige Generationen Drei- bis Zwölf-jährige lehren und miterziehen, neben Sport, Mathematik, Musik …
auch Schreiben und Lesen. Bücher lesen – oder etwa nicht?
© Prof. Dr. Heinz Günnewig
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