Summ summ summ
Wespen schwirr´n herum
eine setzt sich auf den Tellerrand
Flügel streifen meine Hand
Fühler zucken unaufhärlich
nähern sich dem Bienenstich
krabbelt nun ans Kuchenstück
beißt hinein ins süße Glück
1000 Augen schaun mich an
ziehen mich in ihren Bann
Wespe nickt mir zu und summt
du hast Mut – das tut gut.
»Migranten bleiben auf der Strecke«, so der Titel eines Artikels in der Zeitung Die Welt vom 3. Juli 2015, bezugnehmend auf die neueste OECD Studie, in der von 18 aufgeführten Ländern
Deutschland nur noch von Österreich unterboten wird. Die Diagramme, durch die die Bildungsniveaus visualisiert werden, sind so erschreckend wie eindeutig. Jedoch, was gehört überhaupt zum
Bildungsniveau von Frankreich, Griechenland, Deutschland, oder auch Kanada, Australien ...?
»Was ist das denn?« fragte DIE ZEIT am 1. Oktober 2015 Asylsuchende und legte ihnen Fotos vom Karneval, von Frauen in Hotpants, Til Schweiger, Johann Wolfgang von Goethe, Helmut Schmidt im
Zigarettenqualm und weiteren 16 (uns bekannten?) Personen und Situationen vor. »Man sieht schon sehr viel... Deutschland ist schließlich eine Demokratie», sagt der 18-jährige Afghane zu den Hotpants-Frauen,
»aber das ist nicht unser Stil», fügt ein 47-jähriger Syrer an. »Bei uns zu Hause gilt Rauchen als dumm und unerwachsen«, sagt ein 25-jähriger aus Eritrea, und fragt ,»ist das eine Frau oder ein Mann?«
Goethe wird als Lincoln oder Shakespeare oder Rechtsanwalt identifiziert, wegen der schwarzen Jacke. »Ist »Jacke richtig?« fragt der 37-jährige Afghane. Günther Grass ist,
»ein Schauspieler vielleicht?« sagt der Mann aus Syrien. »Ich kenne ihn! Der alte irakische Präsident, Saddam«, fügt Elahe aus dem Iran hinzu, der seit drei Jahren in Deutschland lebt.
Die Antworten der Migranten aus Eritrea, Nigeria, Afghanistan, Syrien, aus dem Kosovo und dem Iran lassen zumindest eine Ahnung aufkommen, dass Bezeichnungen, mit denen tagtäglich wie selbstverständlich
hantiert wird, eine Herkunft haben, oftmals auf einem Fundament aufsitzen, vergleichbar einem Eisberg, dessen 9/10tel unter Wasser liegen. Unsichtbar, unhörbar. Wenn, dem Bild des Eisbergs vergleichbar,
das herausragende 1/10 als der Teil von Sprache angesehen wird, der gehört, gesprochen, gelesen, geschrieben wird, dann ist anzunehmen, dass die 9/10 für den Erhalt des herausragenden
einen Zehntels unabdingbar sind.
Erfolg von Zuwanderern auf dem Arbeitsmarkt wird von Spitzenreiter Kanada, 16 Plätze vor Deutschland, dem kulturellen Niveau zugeschrieben, das Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene im Laufe der Jahre
erreichen konnten. Für die klassischen Einwandererländer wie Kanada, Neuseeland und Australien, ist der Schlüssel für eine gelingende Integration Bildung. Und die beginnt mit dem Spracherwerb.
Hier ist nun das Zauberwort »Spracherwerb«, das manch politisch Verantwortlicher leichtfertig als »Sprache lernen« gebraucht, wie sie in Büchern schriftlich festgehalten wird, und dies dann als
Türöffner zur Integration ansieht. Wenn Eintritt und Zugang zur Sprache als Aneignung von Kultur verstanden wird, umfasst dies mehr als eine Handvoll Worte der Begrüßung, des Abschieds,
des Einkaufs, für das Einwohnermeldeamt und weiterer alltäglicher Floskeln, die aus schriftlichen Vorlagen übernommen wurden.
Um in Ausbildung und Arbeit zu kommen, bedarf es nach Einschätzung der Verantwortlichen des Instituts für Beschäftigung und Arbeitsbefähigung der Hochschule Ludwigshafen eines
breiten kulturellen Wissens, das über Gebrauch und Bezeichnung einer Rohrzange hinausreicht – und diese kulturelle Verankerung ist immer mit Sprache verbunden, sagt Jutta Rump, Leiterin des
rheinland-pfälzischen »Employability-Instituts«. Die Kanäle hierzu sind sehr früh spurentief zu verlegen.
»Spracherwerb« beginnt spätestens mit dem ersten Tag nach der Geburt, sitzt auf historischem Untergrund auf und wird in Sitten und Gebräuchen, in Liedern und Spiel von den Gegebenheiten des
Geburtslandes mitbestimmt. Für Kinder, die irgendwann ihre Heimat verlassen müssen, beginnt das Erlernen einer weiteren Sprache unter oftmals erheblich anderen kulturellen Gegebenheiten
als die, in die sie hineingeboren wurden.
Sprache von Kindern hat ihre Wurzeln in den tatsächlichen und tagtäglichen Erfahrungen, die sie mit Hilfe ihrer hochsensiblen Wahrnehmungsfähigkeiten sammeln. Sehen, Hören, Riechen,
Schmecken, Spüren und der bedingungslose Ernst im Spiel ergeben ein tragfähiges sensorisches Netz, und das Handeln mit den Dingen und Personen der nahen Umwelt entwickeln ein Bewusstsein, mit
welchen Worten und Aussagen solch einmalige Erfahrungen bezeichnet werden können, müssen, sollen. Das Wissen über die Welt ebnet, unweigerlich, den Zugang zur Sprache. Die Freude, die Kinder,
offenkundig, dokumentieren können, wenn sie durch leibhaftige Erfahrungen etwas zugewonnen haben, »glühen wie Juwelen in ihrer Erinnerung«, schreibt Gilbert Keith Chesterton. »... In jedem Kind
liegt der nur dem Menschen eigene Trieb, die Erde zu formen, eine bröckelige Umwelt zu bearbeiten. Darum macht es einem Kind soviel Spaß, durch Pfützen zu springen, im Sand zu buddeln und für
seine Lieblingssachen Straßen und Tunnel zu bauen. Was wirklich zählt, ist die Glückseligkeit des Fühlens und Sehens«, schreibt der große Vladimir Nabokov in seiner Autobiografie.
Handgreiflichen Erfahrungen kennen keine Grenzen, sie einen die Kinder dieser Welt. Jean Paul hat vor über 200 Jahren Worte außerhalb der sinnlich anschaulichen Welt »Schnupftuchknoten der Erinnerung» genannt.
Mangel an Sinneseindrücken führt zu Kratzen, Beißen und Vereinsamung. Hier gilt die Weisheit aus Lewis Carrolls Türöffner zur Kinder- und Jugendliteratur »Alice im Wunderland«:
»Am besten versteht man etwas«, sagt Alice, »wenn man etwas tut«. Wer nur ein Krümelchen von kindlichem Leben versteht, für den gilt dann ebenso, dass Kindheit kein Trainingslager fürs
Berufsleben sein darf.
Wenn wörtliche Bezeichnungen in einer Sprache gelernt werden, so gelingt dies keinesfalls durch einen Austausch wie beim Etikettenwechsel auf Verpackungen. Worte, die bedeutsam und bedeutungsvoll
werden sollen, müssen mit Erfahrungen verknüpft werden – sonst gehen sie unter. Vor dem Erlernen eines Wortes ist jedwedes noch so faserige Vorwissen aufzugreifen, damit Kinder durch die
Widerstände ihres aktuellen Weltverständnisses neugierig auf Dazulernen werden. Erwachsenen-Schluss-Denken (wie sagt man dazu?) behindert solche Prozesse. Deshalb greift eine Äußerung
wie auf der Familienkonferenz vom 21./22. Mai in Perl/Saarland zu kurz. Dort ließ Frau Sozialministerin Bachmann verlauten:» Das Allerwichtigste ist, dass sie unsere Sprache so schnell wie möglich
sprechen.« Mit »sie« meinte sie Migranten. So schnell wie möglich? Das klingt fatal nach Ruck-zuck-Worte lernen (welche?) und Äußerungen übernehmen (welche?). Worte sammeln und Strukturen
trainieren blenden den langen, intensiven, mühsamen und auch fehlervollen Wahrnehmungs- und Denkprozess des Sprachelernens aus. Mit solch einer auf Schnelligkeit angelegten Strategie gibt es weder
eine willentliche Zuwendung zur neuen Sprache und erst recht keine Verankerung in der aufzunehmenden Kultur.
Nur wenige Wochen vor dem Treffen im idyllischen Perl konnte in der SZ vom 29.04. einem weniger idyllischen Bericht auf der Frontseite entnommen werden, dass jedes vierte Kind im Saarland Sprachprobleme
hat und die Zahl der Kinder mit Entwicklungsverzögerungen steigt. Frau Sozialministerin Bachmann findet die Daten »erschreckend«. Weiter heißt es in dem Bericht, dass die Probleme
»zivilisationsbedingt« seien, in den letzten Jahren zugenommen hätten und Eltern zu wenig wüssten, was altersadaequate Förderung sei. Das Ministerium verweist auf ein Programm »Frühe
Hilfen«, eine Hochglanzbroschüre mit Auflistungen von Koordinierungsstellen, Einrichtungen und Netzwerkpartnern. Wiederum nur wenige Wochen zuvor meldete die Techniker Krankenkasse, dass immer
mehr Kinder unter 15 Jahren Sprachtherapie brauchten, und der aktuellen Studie der Wochenzeitschrift DIE ZEIT, der Initiative Stiftung Lesen und der Deutschen Bahn Stiftung ist zu entnehmen, dass
jedem dritten Kind keine Gute-Nacht-Geschichten vorgelesen werden. Und im November 2015 hält Stiftung Lesen in einer Untersuchung mit 500 Kindern und deren Eltern zur schulischen und privaten
Entwicklung wiederum fest, dass sich Kinder, denen täglich vorgelesen wird, durch Sensibilität, Empathie und Interessiertheit auszeichnen. Das so einfache und schlichte Vorlesen scheint
doch mehr zu bewirken als pränatales Mozart hören oder Frühchinesisch oder Kisten voller Legofiguren mit ausgestanzten Weltlein.
Sprache entsteht nur in Gesellschaft: Säugling und Vater, Kind und Mutter, Gruppe und Lehrperson, Jugendliche und Freunde, Frau und Geliebter und Geliebte, Journalist und Leser, Autor und
Zuhörer, Schauspieler und Zuschauer, Eingeborene und Hinzukommende.
Sprache entwickelt Wurzeln innerhalb eines authentischen Geschehens und wird zu einem komplexen und vielfach umwickelten sozialen Faktor. Die Einflussgrößen der tatsächlichen sozialen Situation
(Zeit, Ort, Alter, Geschlecht, Status beteiligter Personen, ...) stehen für manche Mitbürger wie Hindernisse im Weg, um das mitzuteilen, was sie überhaupt äußern wollen. Für junge
Kinder, die hellhörig und scharfblickend in Gesellschaft hineinwachsen, sind nicht-sprachliche Signale (die einladende Handbewegung, der interessierte Blick, die wohltuende Aufmerksamkeit, das
geduldige Zuwarten, ...) entscheidend, ob überhaupt Kommunikation beginnt oder durch andere Haltungen verhindert wird.
Seit Jahren bastelt sich jedes Land sein eigenes Sprachprogramm, von denen wir heute wissen, dass die meisten wenig taugen, sagt Olaf Köller, Gründungsrektor des Instituts für
Qualitätsentwicklung im Bildungswesen. Hastige, an Interessen Erwachsener und schriftsprachlicher Grammatik orientierte Vorschläge für Sprachkurse, zumeist von Bildungspolitikern
und Sprachdidaktikern lanciert, denen Kinder der jetzigen Wirklichkeit abhanden gekommen sind, haben den Klang von Schlägen auf einen Gong: dröhnend und verebbend.
Sprachkurse mit Vorschlägen von Sprachexperten gibt es zuhauf: Tisch decken, Essen kochen, Verhaltens-Regeln erstellen, ...; Solch tausendfach wiederkehrende Handlungen mit Sprache zu
verknüpfen sind so banal, ungenügend und so schlappmachend für Kinder, dass sie nicht ausreichen für eine freudvolle Hinwendung von Kindern zur Sprache. Mittlerweile springen
in den Markt der kindlichen Sprachentwicklung apps wie »Schlaf gut« oder »Kleine Baumeister«, mit denen die Welt her- und weggewischt werden kann.
Untersuchungen zum Erfolg von Sprachkursen in Brandenburg, Hessen, Berlin, Baden-Württemberg fielen enttäuschend aus. Trotz spezieller vorschulischer Sprachlernprogramme in fast allen
Bundesländern haben sich die Deutschkenntnisse der Schulanfänger – schreibt Martin Spiewak in der ZEIT – nicht entscheidend verbessert.
Wie kann das sein? fragt er und fasst die
Erkenntnisse hierzu zusammen:
➸ Formale Lernprozesse, mit Kärtchen und Begriffe nachsprechen, bringen nichts;
➸ In vorschulischen Einrichtungen sollte in sehr kleinen, heterogenen Gruppen von ErzieherInnen, die Experten in Sprachentwicklung sind, gelernt, gespielt, gesungen werden;
➸ Im Alltag der Kinder gibt es genügend Anlässe, durch die Kinder zuhören und sprechen lernen;
➸ Das Anspruchsniveau der Erzieher und ErzieherInnen gilt es in den Blick zu nehmen; Untersuchungen dazu gibt es nicht.
Vorschläge, Kinder anzuhalten in Sätzen, ganzen Sätzen zu sprechen ist ein gewaltiges Missverständnis. Gerade die gesprochene Sprache in ihrer grauen und farbigen
Wirklichkeit lebt von gefüllten Pausen, Abbrüchen, Neuanfängen, Tempuswechseln, Stottereien, Verhaspelungen, Fehlern, dem Mitdenken des Gesprächpartners, des Angesprochenen,
des Zuhörenden. Verstehst Du? Auf jeden Fall! So ist es doch! Im täglichen Austausch werden keine Sätze formuliert, wir machen äußerungen, stückweise, häufig
in dialektaler Einfärbung, schauen auf, schauen einander an und setzen erneut an, nachdem die hochgezogenen Augenbrauen des Gegenüber registriert wurden. Und wie ist das bei sehr
jungen Kindern? Diese Hochwachsamen mit den noch weitgehend unbelasteten Gehirnen nehmen jede wortlose, schlampige, verschwatzte, hektische, materiell überquellende, emotional unterversorgte,
dumpfe, heitere, rätselhafte, dümmliche, lach- oder ernsthafte ... Situation wahr, auch mit den darin geäußerten Wendungen. Vor geraumer Zeit hat Christine Brinck in einem Artikel mit dem
Untertitel: In deutschen Familien fehlt es an Kommunikation! zu: Red mit mir! Viel! aufgefordert. Sie rekapituliert die berühmte, klassische Chicagoer Studie von Betty Hart und Todd Risley aus
den 90er Jahren, die belegt, dass der Wortschatz schon im Alter von eineinhalb Jahren sich gewaltig unterscheidet zwischen Kindern, mit denen einsilbig verfahren wird und denen, die »Antworten«
auf ihre Brabbeleien und wortlosen Körpersignale bekommen. Experimentalpsychologen der Universität Oxford haben dies bei Drei- bis Vierjährigen bestätigt. Doch Vorsicht. Red mit mir!
ist keine Aufforderung zu: Quatsch mich dusselig. Ebenso unsinnig sind aufgesetzte Korrekturen. Diese sogenannte pädagogische Intervention hat schon 1965 Courtney Cazden in Kindergruppen untersucht
(eine Gruppe wurde sich selbst überlassen, eine Gruppe wurde nie korrigiert, aber in Gespräche verwickelt, in einer Gruppe wurden die Äußerungen aufgegriffen, berichtigt und erweitert:
Nein, Milch trinken – Du willst also keine Milch trinken). Der Fortschritt in der letzten Gruppe war am erbärmlichsten. Belehrungen helfen nichts, sie halten Kinder nur auf.
James Heckman, Wirtschaftsprofessor an der Universität von Chicago, Nobelpreisträger für ökonomie, hat sich in einem Artikel »Fangt sie früh ein«, mit den positiven
Auswirkungen frühkindlicher Bildung auseinandergesetzt und dargelegt, dass mit den intellektuellen Förderungen soziale Stärken wie Bindung, Charakter und Selbstkontrolle einhergehen.
Gute frühe Bildung, sagt Heckman, kann bei »Kindern im Schatten«, wie Barack Obama formulierte, genau das entwickeln, was viel später in arbeitsplatzbasierenden Programmen verlangt wird.
Heckman ist derjenige, der das Perry-Preschool-Projekt initiierte, in dem afro-amerikanische Kinder, sehr junge Kinder aus Risikofamilien gefördert wurden.
Durch die steigende Zahl von Zuwanderern, die in Sprache und Kultur ihrer Heimatländer aufgewachsen sind, ist die Chance gegeben, auch eine grundlegende und überfällige pädagogische
Diskussion in Gang zu setzen, was in der Entwicklung von Kindern nachdrücklich gefördert, wo Einhalt geboten werden sollte und Begrenzungen ins Auge zu fassen sind. Es könnte sehr wohl sein, dass
Einheimische von Zuwanderern lernen könnten. Denn offensichtlich gibt es bei jenen keine Familien mit Frühförderungshysterie und massiver Abhängigkeit von digitalen Medien.
»Kinder brauchen Wärme, Milch, später Brei und ihnen zugewandte und mit ihnen sprechende Personen, sonst nichts«. In dieser unmissverständlichen Klarheit äußern sich die beiden renommierten
Intelligenz-Forscher Elsbeth Stern und Aljoscha Neubauer. Beide scheuen sich auch nicht »Memory» und »Mensch ärger dich nicht« zu nennen, um dem Wort von der Zuwendung schlichte Praxis zu unterlegen. Eine
grundsätzliche Debatte hat sich zuvörderst mit den Fragen zu befassen: Wie gehen wir mit unseren Kindern um? Wie erlauben wir unseren Kindern zu sein? Wie dürfen sie sich entwickeln? Und erst
randständig mit Ganztagskitaplatzbereitstellungen.
Er kann nicht mehr abschalten, sagt eine ARD Stimme, und der Kleine schaut uns Zuschauer unverwandt mit Silberblick an. Der Fernseh-Spot: Schau hin, was Dein Kind mit Medien macht! soll auf die nicht sehr
förderlichen Wirkungen digitaler Medien hinweisen. Und schwuppdiwupp äußern sich wiederum politisch Umtriebige mit solch dickbäuchigen Sätzen wie »Eltern müssen ihre Kinder im
digitalen Zeitalter an die Hand nehmen» und im gleichen Atemzug wird eingeräumt »es fehlen uns gute Schulungsmaßnahmen.» Was ist mit solch einem Geschwabbel anzufangen? So dokumentiert sich nachhaltig
potenzierte Ahnungslosigkeit. Es ist doch vor allem zu fragen: wie kann jungen Kindern im digitalen Zeitalter der Verstand bewahrt werden, wenn ihnen das Denken mehr und mehr in seichten Bahnen ermöglicht
wird? So ist z.B. dem Bilderbuch »Alle Vögel sind schon da« aus der ersten »Multimedia-Bibliothek für Kinder« ein Code beigefügt, mit dem »augmented reality« verheißen wird. Gezwitschere,
Geschnattere, Geflattere kann über app eingespielt werden, vorgegaukelte Realitätserfahrungen im Disney-Format. Auch die erwachsenen-sprachlichen Erläuterungen dokumentieren das Ende von
Erkenntnisprozessen und sind in ihrer Kompaktheit für Kinder kaum zu verstehen. Die so versprochene spielerische Ergänzung hat statt konzentrierter Befassung fahriges Herumspielen zur Folge.
Kinder- und Jugendärzte, ist einer Sendung von Deutschland Radio Kultur vom 20. Juli 2015 zu entnehmen, schlagen Alarm, warnen vor ständiger Zerstreuung durch digitale Medien, sehen eine neue
Sucht, die bisherige Süchte um Dimensionen übersteige. Christian Montag, Professor für Molekulare Psychologie an der Universität Ulm, bestätigt die Frage der SWF-Moderatorin
»Reden die noch miteinander?«, weist auf einen Verfall sozialer Kompetenz hin und plädiert für digitale Auszeiten. Tröstlich kann auch der Bericht der neuesten OECD-Studie aufgefasst werden,
nach dem die Auswirkungen von Informationstechnologien im Unterricht auf die Leistungen von Schülern »bestenfalls als gemischt« anzusehen sind. Die Mahnungen von Medienwissenschaftlern, Ärzten und
Psychotherapeuten vor einer Beeinträchtigung kindlicher Entwicklungen durch eine unbedachte und grenzenlose Digitalisierung werden häufiger (Alexander Markowetz; Gerald Lembke / Ingo Leipner;
Manfred Spitzer; Bert te Wildt), kompromissloser (Digitaler Burnout; Die Lüge der digitalen Bildung; CYBERKRANK! Wie das digitalisierte Leben unsere Gesundheit ruiniert; Digital Junkies), deutlicher
(»Wir brauchen mindestens in Kindergarten und Grundschule digitalfreie Zonen«; »Eine Kindheit ohne Computer ist der beste Start ins digitale Zeitalter«; »Die Stirnhirnreifung liegt im Kreuzfeuer der
Beschleunigungen und Überreizungen durch die elektronischen Medien»). Unmissverständlich ist allen Veröffentlichungen zu entnehmen, dass nicht jeder technologische Fortschritt auch ein
Fortschritt für Menschen ist. Unter dem Eindruck, es muss in Sachen »Sprache lernen« schnell etwas geschehen, werden neuerdings Kultusministerien einzelner Bundesländer dergestalt aktiv, dass
Erziehungsinstitutionen nun mit digitalen Medien aus- und aufgerüstet werden sollen, um mit der Schnelligkeit des Mediums möglichst rasch zum Erfolg zu kommen Die fundamentale Entwicklung der
gesprochenen Sprache mit all ihren zuträglichen Parametern bleibt dann wieder auf der Strecke. Fehlerlose Schriftsprachlichkeit ist dann die Maßgabe.
Sherry Turkle, die seit über 30 Jahren Soziologie und Psychologie am Massachusetts Institute of Technology lehrt, hat 2012 zur Veränderung unserer Kommunikation durch die digitale Technik
der Laptops, Tablets, Smartphones geschrieben: »Kommunikation von Angesicht zu Angesicht entfaltet sich langsam. Sie lehrt uns Geduld. Wenn wir digital kommunizieren, erlernen wir andere Verhaltensweisen.
Wir erwarten schnelle Antworten. Damit wir sie bekommen, stellen wir nur noch einfache Fragen. Wir lassen unsere Gespräche verdümpeln, selbst bei wichtigen Angelegenheiten. Mit Shakespeares Worten könnte
man sagen, wir sind an dem Stoff, der uns ernährt, versiecht. Wir verlernen über uns selbst nachzudenken, Gespräche werden vermieden». Turkle schließt den Artikel mit: »Schauen Sie hoch,
schauen Sie einander ins Gesicht, beginnen Sie sich zu unterhalten«. Auch in ihrer Veröffentlichung »Verloren unter 1000 Freunden« befürchtet sie eine »seelische Verkümmerung« in der digitalen Welt.
Nun darf man wissen, dass Sherry Turkle nicht zu der Truppe der praxisfernen WissenschaftlerInnen, gehört, die mit einem Artikel über bisherige Erkenntnisse flott drüberhoppelt, sondern diejenige
ist, die überzeugend dargelegt hat, dass die Maschine Computer in unser Denken, unsere Gefühle, unsere Identität eingreift. Turkle hat sechs Jahre lang Kinder, Jugendliche und Erwachsene in deren
Umgang mit Computer begleitet, Gespräche geführt, notiert und dann den Klassiker: Die Wunschmaschine – Vom Entstehen der Computerkultur – veröffentlicht. Das war 1984. Sie weiß also, wovon sie schreibt
und konnte deshalb ihrem Artikel von 2012 den so schlichten Titel geben: Wir müssen reden. In Bert te Wildts Digital Junkies schildert der Arzt und Psychotherapeut zwei Szenen, die ihm von der Leiterin
eines Kinder- und Jugendzentrums übermittelt wurden. Während einer Geburtstagsfeier sitzen zehn Mädchen zusammen, schauen auf ihr Handy, das Geburtstagskind ebenso. Auf einem Spielplatz spielen
Dreijährige Fangen. Mitten in der Verfolgungsjagd bleibt ein Kleiner stehen und fummelt sein Handy aus der Hosentasche. Als er es in der Hand hat, verebbt der Klingelton. »Alle sind voneinander abgelenkt«,
schreibt te Wildt.
Allen Veröffentlichungen zur Wirk- und Unwirksamkeit der digitalen Medien ist zu entnehmen:
➸ der Ablenkungsturbo der Smartphones, Laptops, Tablets beginnt, einer Bugwelle vergleichbar, in sich verkürzenden Zeiteinheiten, Aufmerksamkeit und Konzentration zu verhackstücken, zu verwirbeln und
Hunger auf weitere Krümelchen auszulösen;
➸ die pausenlosen Unterbrechungen und ständigen Ablenkungen durch die digitalen Assistenten führen zu sich verstärkenden Aufmerksamkeitsstörungen.
Die allgemeinen Konsequenzen, wie sie Alexander Markowetz, Informatikprofessor der Universität Bonn, mit »Wandel managen, Herausforderungen angehen, Umgang meistern, Begrenzen ausufernder Selbstdarstellungen«
vorschlägt, sind von einer seltenen dehnbaren Unbestimmtheit. Sich von den permanenten Begleitern jedoch zu trennen, ist weder realistisch noch angebracht. »Welches Ausmaß und welche Auswahl ist
gesund?« fragt die Kronzeugin der Computerkultur Sherry Turkle. Es ist schon aufschlussreich, dass in allen o.g. Veröffentlichungen, verfasst von Personen, die internetkundig sind, einhellig und wiederholt darauf
hingewiesen wird, wie grundlegend wichtig es ist, dass Kinder sich mit der wirklichen Wirklichkeit auseinander setzen sollen. »Wenn wir auf die Welt kommen, dann sind wir zunächst vor allem körperliche Wesen.
Dann leben wir vor allem im Diesseits der fassbaren realen Welt. Damit sie in ihrem Körper ankommen, müssen wir unsere Kinder erst einmal richtig in die Welt einführen, die man anfassen kann.
Sie müssen dadurch lernen, alle ihre Sinne zu bedienen. Und dann geht es über die Sinne erst einmal darum, das Seelenleben, die Gefühle und Phantasien zu entfalten. Dies geht am besten über
analoge Medien. Es geht darum, eine starke Innenwelt aufzubauen, bevor sie auf die immer komplexeren und bunteren Medien treffen,« heißt es in Digital Junkies. Gegen Ende seines Buches, als te Wildt
Grundprinzipien der Prävention von Abhängigkeiten nennt, greift er nochmal seine eingangs beschworenen Formeln auf, dass je jünger Kinder sind, Erfahrungen mit sich selbst und der Welt nur in Spiel und durch Einsatz
all ihrer Sinne machen können. Und dazu brauche es erst einmal überhaupt keine digitalen Medien. Bleiben die Sinne geschlossen, gibt es keine Sensibilitäten, keine Neugier, keine Vielfalt, kein Risiko.
Kinder brauchen unbedingt Risiken als Genuss bringende und genussvolle Herausforderung zum Lernen. Für Kinder gilt die mitreißende Aufforderung von Calvin, der Comic-Figur Bill Wattersons, an seinen
Plüschtiger Hobbes: Let´s go exploring. Mit solch einer abenteuerlustigen Einstellung erobern Kinder auch die Sprachlandschaft – wenn nicht bestimmte und bestimmende Erwachsenen glauben, Wege asphaltieren zu müssen.
Anthony Little, ehemals Schulleiter des Eton College, nun Chief Education Officer von Global Education Manage Systems, stellt drei Philosophien kindlichen Lernens zur Entscheidung nebeneinander: werden Tatsachen
gelehrt, bestehen Schüler Prüfungen; wird Verstand geschult, sind künftige Generationen im Stande, ihr Leben aufzubauen; werden Kinder und Jugendliche gelehrt, unterschiedliche Ideen zu verbinden,
werden sie die Probleme der Welt lösen. Das klingt verdammt nach Kreativität, Originalität, Individualität und Gründlichkeit. Und genau dies könnten Säulen sein, die in Zeiten
der Zuwanderung zu errichten wären. Little hat zum Abschluss seines langjährigen Wirkens eine Publikation verfasst »A Intelligent Person´s for Guide to Education«, in der er Eltern mit psychischen
Krampfadern, die ihren Zöglingen mit ständigen Ermahnungen im Ohr liegen, u.a. den Ratschlag gibt, lesemuffligen Jungs ab zwölf Jahren, schlicht und einfach und überraschend vorzulesen. Mit
»Gullivers Reisen« zu beginnen, wäre angebracht, sagt er. Solch ein unsensationeller Hinweis aus einer Elite-Schule, in der 19 englische Premiers ihre Karrieren begannen, David Cameron eingeschlossen,
bekräftigt, dass sich Literatur als entscheidendes Medium der Welt- und Kulturaneignung in unser Leben einmischen soll. Und dies beginnt mit Versen.